Die Brüder Mannesmann und das Werk Komotau

 von Prof. Dr. Horst A. Wessel, Mannesmann-Archiv

                                        mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors

Das Werk Komotau war eines der Stammwerke der Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhren-Werke AG, und bis zur Jahrhundertwende war es das größte und bedeutendste überhaupt. Es wurde 1887 gegründet. Die Familie Mannesmann brachte ihr patentiertes Verfahren zur Herstellung von Rohren aus dem massiven Stahlblock allein durch Walzen und die wie die Mannesmänner aus Remscheid stammende, jedoch seit langem in Wien ansässige und kaufmännisch tätige Familie Haardt Gebäude und Grundstücke der von ihr erworbenen in Konkurs gegangenen Erzgebirgischen Eisen- und Stahlwerks-Gesellschaft in Komotau ein. Das Barkapital zahlten u. a. Mitglieder der Unternehmerfamilien Siemens und Langen. Die technische Leitung übernahm mit Alfred Mannesmann einer der Brüder der Erfinder, der sein Studium unterbrochen hatte, um die Versuche in Remscheid zu unterstützen ; er kannte also das Verfahren von Grund auf. Die kaufmännische Führung wurde nacheinander zwei Söhnen des als „Patent-Langen" bekannt gewordenen Eugen Langen aus Köln übertragen.

Nachdem die Produktion eingerichtet worden war, wurde am 26.Juli 1888 im Beisein staatlicher und städtischer Behördenvertreter das erste Stahlrohr in Komotau gewalzt. Dabei handelte es sich, wie das „Deutsche Volksblatt Komotau" berichtete, um ein 5,5 m langes Stahlrohr mit 100 mm Durchmesser, das innerhalb von nur zehn Sekunden gewalzt wurde. Trotz dieses glänzenden Belegs für die Brauchbarkeit des revolutionären Verfahrens gab es große Schwierigkeiten bei der Auswalzung der auf der Schrägwalze gefertigten dickwandigen Hohlkörper zu dünnwandigen, marktfähigen Rohren. Die Lösung brachte eine zweite große Erfindung, das Pilgerschrittverfahren von Max Mannesmann. Dieses Verfahren wurde in Komotau entwickelt, und zwar von den Erfindern selbst unter Mitwirkung ihres Chefkonstrukteurs Rudolf Bungeroth, der dazu von Remscheid nach Komotau beordert worden war.

Die Erfinder hielten sich gerne in Komotau auf. Zeitweise war die ganze Familie dort zu Gast. Sie waren sich ihrer Bedeutung bewusst und traten entsprechend auf. Sie fuhren sechsspännig und veranstalteten auf der in der Nähe von Komotau gelegenen Uhu-Hütte große Feste. Zu den Gästen gehörte beispielsweise der Generalpostmeister, Excellenz Heinrich Stephan, mit seinem für das Telegrafenwesen zuständigen Ministerialdirektor. In einem Schreiben von Max an seine Brüder Reinhard und Carl von April 1891 heißt es dazu: „Excellenz kam Sonntag Nachmittag mit H. G. Langen an und nach dem Mittagessen gingen sie mit Alfred auf die Uhu-Hütte. Da sich ein starker Wind erhob, spielten die Herren Skat bis abends... Abends kam Herr Bungeroth und es war sehr fidel. Bis ½ 3 wurde gekneippt, wobei Excellenz manchen sehr kräftigen Witz vorbrachte."

Am nächsten Tag besichtigten die Gäste die Produktion und gaben anschließend 40 km Telegrafenstangen in Auftrag. Sie waren für repräsentative Strecken in großen Städten und vor allem in von Termiten bedrohten Gebieten in Afrika der deutschen Kolonialverwaltung bestimmt. Die bald darauf vollendete oberirdische Telegrafenlinie von Bagamoya nach Tanga wurde wiederholt durch Giraffen beschädigt, die mit ihren langen Hälsen gegen die Drähte liefen. Eines Tages kam in Komotau ein Telegramm folgenden Inhalts an: „Giraffen werfen Maste um, was tun? Die Antwort lautete: „Höhere Maste bestellen". Das Mannesmann-Verfahren erlaubte die Fertigung von Rohren beliebiger Länge. Abhängig vom Einsatzmaterial, den örtlichen Gegebenheiten und den Transportmöglichkeiten wurden Rohre bis 10 m Länge und bis 300 mm lichte Weite hergestellt – die Rohre wurden vor dem Versand mit 60 Atü Wasserdruck geprüft."

Die erste Pipeline, 1887 im Kaukasus als Druckleitung verlegt, wurde ebenso mit Stahlröhren aus Komotau errichtet wie die viele Jahre längste Pipeline der Welt, die von Baku am Kaspischen Meer über mehr als 800 km nach Batumi am Schwarzen Meer führte. Von Komotau aus wurden die Ölgebiete im Kaukasus und Rumänien sowie in Nordamerika beliefert, die Wasser- und Gaswerke im gesamten Habsburger Reich und bis wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg auch in ganz Italien.

Die Ära der Brüder Mannesmann ging in Komotau im Jahre 1893 zuende. Die der Mannesmannröhren-Werke überdauerte den Ersten und auch den Zweiten Weltkrieg. 1945 wurde das Röhrenwerk verstaatlicht und arbeitet noch heute – für die Bevölkerung nach wie vor unter dem Namen Mannesmann. Als der Verfasser vor mehr als zehn Jahren Urlaub im Erzgebirge machte und von dort aus zum nahen Chomutov fuhr und nach dem alten Röhrenwerk fragte, brachte ihn weder der Begriff „Röhren" nach „tube" zum Ziel. Als er jedoch eine Zeichnung von einem Rohr anfertigte, hieß es spontan: „Mannesmann"!