Gerstnergasse - komotau.de/strassennamen

Direkt zum Seiteninhalt

Gerstnergasse

Die Gerstnergasse mit Spittelkirche und Gerstners Geburtshaus (2. von links)
Die Gerstnergasse
in Komotau
von Hans Peschek

Wir begingen im Jahre 2006 den 250. Geburtstag Franz Josef Gerstners. Die nach ihm benannte Gerstnergasse in Komotau war eine Hauptgeschäftsstraße. Hans Peschek beschrieb sie in unserer Heimatzeitung im Jahre 1982 anläßlich des 150. Todestages des großen Komotauers. Dieser Artikel ist auszugsweise hier wiedergegeben. Die Gerstnergasse gibt es heute nicht mehr. Als letztes Fragment der einstigen Geschäftsstraße steht nur noch die Spittelkirche. Sie dient der russisch- orthodoxen Gemeinde als Gottesdienstraum.

Früher hieß sie die "Niedere Vorstadt" oder die "Prager Vorstadt", weil der Weg nach Prag durch diese Vorstadt, dann durch die Wassergasse und mittels durch eine Furt durch den Assigbach zur Teußermühle und weiter zur Prager Komerzial- Handelsstraße führte. Auf älteren Stadtplänen ist die Gerstnergasse auch mit "Hottergasse" benannt. Seit 1856 heißt diese Gasse Gerstnergasse, weil hundert Jahre zuvor in einem Hause dieser Gasse der große Vordenker Franz Josef Ritter von Gerstner geboren wurde.
Als Bub da geboren und aufgewachsen, erinnert man sich natürlich gerne an die Gerstnergasse; bot sie doch eine Vielfalt von Läden, Geschäften und Lokalen, so daß man sagen könnte:" In der Gasse gab es nichts, was es nicht gab."
Vom Marktplatz kommend, im Anschluß an die Steingasse in Richtung Eidlitz gelegen, mußte fast jeder, der "vom Land kam" oder "aufs Land" wollte diese kaum 50 Hausnummern zählende Straße passieren. Natürlich kannte man als "Gung" die Häuser ganz genau und- beim "Herumstromern" lernte man sie auch innen größtenteils kennen.
Gleich am Anfang gab es das Kaffeehaus Nähring, wo schon bald nach dem Ersten Weltkrieg eine Kapelle aufspielte.. Daneben aber noch sechs Wirtshäuser und zwar das Gasthaus "Zum Gambrinus", das "Eichkatzl", die "Austria", das "Kleeblatt", die "Quelle" und ganz am Ende noch den "Anker". Verdursten brauchte da wirklich niemand.
Auch sechs Kolonialwarenläden gab es: Der Theml Thedor (niemand sagte Theodor), der Schuldes Kaufmann. Bei ihm konnte die Landbevölkerung alles kaufen was auf dem Bauernhof nötig war: Peitschenstecken, Melkeimer und so weiter. Des weiteren der Knobloch, die Gerstner Emma, der Rosenkranz, und der Pinks. Bei Pinks gab es damals schon frisch gerösteten Kaffee und Delikatessen. Sein täglich Brot konnte man bei Nähring, Hlawatschek und Mahner - Bäck (später Steiner) erstehen. Brot gab es auch in der Wiedenmühle, die man in der engen Gasse zwischen Gambrinus und Schmiede erreichen konnte. Eine weitere Konditorei, neben dem Kaffee Nähring, gab es auch unter dem Besitzer Schleier (später Gröschl). Ein ganz kleiner Zuckerle- Laden (Olexa) sorgte immer dafür, daß unsere paar Kreuzer in der Tasche nicht rosten konnten.
Natürlich konnten beim Essen die Fleischer nicht fehlen. Es waren derer vier: Der Zirkler, der Opis, der Löwy und der Zawrazal. Letzterer blieb als einziger übrig. Dieses Geschäft wurde von Karl Lukarsch ausgebaut und bis zur Vertreibung weitergeführt. Damals gab es auch noch "Fleischer Hunde", meist kräftige Doggen, die kleine Karren zogen. Auf ihnen wurden die Transporte der geschlachteten Tiere vom Schlachthof besorgt.
Milch gab es bei der Arbes- Maly und Gemüse bei der Augustin. Das "Ohziehzeich" verkaufte Hugo Unverdorm und Mauersberger. Schuhe wurden im Schuhhaus Dörr und beim Görner erstanden. (In den Parksälen sangen die Operettentenöre den Werbeslogan: "Ich trage Kleider von Unverdorm und Schuhe von Görner.") Repariert bekam man die Schuhe beim Weber Schuster und beim Netschas.
Hüte, Mützen und Filzpotschn kaufte man gerne beim k.u.k. Hoflieferanten Lippmann. Es gab noch den Kreisl - Lackierer, den Schildermaler Mikschowsky, einen zoologischen Präparator Michanickl, bei dem man sich seinen Vogel ausstopfen lassen konnte, eine Tischlerei, den Goldarbeiter Scharf, dessen Geschäft aber am Marktplatz war. Die Schlosserei und Eisenbaufirma Lohr, die Wäscherei Wollanek, ein Möbelhaus Feiler, ein Geschäft für Fleischerei Einrichtungen Fiedler und den Friseurmeister Beck. Alle fanden in unserer kleinen Gasse Platz. Zu erwähnen wären noch der Fiaker Stadtler, mit dessen Landauer sich die Braurtpaare zur Kirche fahren ließen. Es folgten die Trafik Wasl, wo wir als Boßn unser erstes Zigarettl erstanden; dort verkaufte man pünktlich um 1/2  4 nachmittags das "Deutsche Volksblatt" (s´Butterblaatl), sehnlichst vom Leser erwartet.
Auch Fabriken gab es in der Gerstnergasse: Die Seifensiederei Schiefer (benannt nach dem früheren Bürgermeister) und die Likör und Schnapsfabrik Hirsch. Natürlich darf die Tanzschule Mühlsiegl nicht fehlen. Beim Papa Mühlsiegel lernte man dort die damaligen Standard- Tänze: Walzer, Polka, Quadrille und Rheinländer. Beim Sohn, Prof. Mühlsiegel und dessen Frau gab es Unterricht in modernen Tänzen, wie Tango und Foxtrott. Wer sich porträtieren lassen wollte, konnte dies bei Herrn Fara tun und wem die Zähne schmerzten, der war bei Zahnarzt Peinl aufgehoben. Ein leichter Geruch von verbranntem Huf kam vom Huf- und Wagenschmied Gmell. Daneben noch das Elektro- Geschäft Wandner.
Dem lieben Gott näher gebracht hat uns Pfarrer Schwalb in "unserer" Spittelkirche. Von ihm stammte das braune Komotauer Gebets- und Gesangbuch, das in den Kirchen für die Gläubigen auflag. Es folgte das Holzspielwarengeschäft Uhlig und die "Löwen" Apotheke. Diese wurde unter Apotheker Ritschl in das Haus Nr. 1 verlegt.
Musikbeflissene konnten in der Musikschule Strunz alle Instrumente erlernen. Der spätere Inhaber, Oberstudiendirektor Strunz, war auch Leiter des städtischen philharmonischen Orchesters. Glanzpukte ideser kulturellen Einrichtung waren die sonntäglichen Konzerte im Musikpavillon des Stadtparkes. Den Nachwuchs brachte Frau Reichl, die Hebamme ans Licht der Welt. In unserem Peschek- Haus was einst das Bezirks- Kommando der 92er (Komotauer- Haus Regiment) untergebracht.

Der Vollständigkeit halber fehlte eigentlich nur noch eine Schule. Doch die war in der Gabelsberger Straße, gleich um die Ecke. Auch ein Arzt, Dr. Pokorny und ein Rechtsanwalt hatten ihre Praxen "gleich ums Eck".

Nun, habe ich zuviel versprochen, als ich anfangs sagte, daß es in unserer Gerstnergasse nichts gab was es nicht gab? Nun sorgten andere dafür, daß es dort nichts mehr gibt !

Zurück zum Seiteninhalt